Das Geheimnis des Tangos

Gastbeitrag von Ilaria Favale

„Tango und Tango tanzen stellt auch die Frage nach einem Geheimnis, das nicht nur dem Tango selbst gehört sondern auch den Tanzenden. Es offenbart sich aber nur, wenn man immer weiter tanzt. Und auch dazu lädt „tango. let me into your secret“ ein.“

It takes two to tango

“It takes two to tango”, lautet ein englischer idiomatischer Ausdruck. “Tango ist der traurige Gedanke, den man tanzen kann“, sagte einmal der argentinische Komponist und Bühnenautor Enrique Santos Discépolo. Über Tango ist viel gesagt worden. Zahlreich sind auch die Klischees, die von jeher über ihn kursieren: Tango sei zum Beispiel vor allem ein Tanz voller Sinnlichkeit und Leidenschaft, der sich auf Körperlichkeit und auf körperliches Verlangen reduziere.

Persönlich fasziniert mich der Tango, seit ich ihm zum ersten Mal begegnete. Mit dem Tango habe ich immer nicht nur etwas leidenschaftliches und sinnliches, sondern auch etwas poetisches und melancholisches verbunden. Ich bin überzeugt, dass jeder Tanz eine Geschichte erzählt wie ein Roman oder ein Theaterstück. Der Unterschied liegt in der Dauer. Der Tanz gehört dem Augenblick – wie das Glück. Er ist flüchtig – wie die Schönheit. Ein ehemalige Schauspiel – für immer abgeschlossen und nicht wiederholbar. Ist ihm doch eine Dramatik eigen, die Aufmerksamkeit auf sich zieht und Schaulust sowie Teilnahme weckt.

Anmut und Harmonie

Tango bedeutet für mich aber auch: Anmut und Harmonie. Immer wenn ich Tangopaaren zusehe und ihre leichten Bewegungen auf dem Boden beobachte, fällt mir sofort das Zitat aus dem Film von Truffaut „ Der Mann, der die Frauen liebte“ ein: „ Die Beine der Frauen sind die Zirkel, die den Erdball in allen Himmelsrichtungen ausmessen und ihm sein Gleichgewicht und seine Harmonie geben.“ Der Tango zeigt, dass dies für Frauen und Männer gelten kann. Wenn Paare tanzen, ist es als schwebten sie in einer anderen Welt: harmonisch, anmutig, ausgeglichen.

Ist es möglich, eine solche Tanzform so zu „definieren“, dass alle diese Aspekte berücksichtigt sind? Wie kann man das Zusammenspiel von Musik, Tanz, Miteinander und Kultur treffend beschreiben, ohne in Klischees und Gemeinplätze zu verfallen?

Reisebegleiter in die Welt des Tangos

„tango. let me into your secret“ ist der Titel von Marlen Wagners Buch, ihr ganz persönlicher Blickwinkel. In ihm habe ich eine Antwort auf meine Fragen gefunden: eine Antwort vergleichbar dem, wenn man sich manchmal nicht ganz genau an eine Melodie erinnern kann – aber wird sie dann gespielt, dann ist sie plötzlich da. Das Gefühl des Wiedererkennens hat mich überwältigt. Aber das Buch von Marlen Wagner nahm mich auch bei der Hand und mit auf eine Reise, die mir eine neue Perspektive auf den Tango geschenkt hat.

Dem Buch gelingt es, den Tango in seiner Vielfalt vorzustellen. Es gibt zu sehen, zu lesen und zu hören, dass zum Tango auch die Experimentierfreudigkeit des Urbanen gehört und zeigt Berlin als Ort der Begegnung und der Kreativität. Die Zeugnisse vieler Tango-Liebhaber und ihr jeweils ganz persönlicher Umgang mit dem Tanz erweisen sich als umfassende Erfahrungen. Sie können die Grenzen zwischen Kulturen und Leuten überwinden und neue Dimensionen eröffnen – sowohl zum Beispiel die des Reibungsverlustes als auch die Gewinns aus einem Miteinander. Und manchmal – die Augenblicke in Marlen Wagners Buch zeigen das sehr schön – gleiten die Tanzenden plötzlich in und auf eine Schwelle zwischen Traum und Wirklichkeit, die neue Fragen stellt und überraschende Antworten gibt.

Tango und Tango tanzen stellt auch die Frage nach einem Geheimnis, das nicht nur dem Tango selbst gehört, sondern auch den Tanzenden. Es offenbart sich aber nur, wenn man immer weiter tanzt. Und auch dazu lädt „tango. let me into your secret“ ein.

PUBLIKATION

Marlen Wagner Tango – let me into your secret. Berliner Impressionen